Warnschutzarrest – Sinn oder Unsinn?
Im April 2011 prügelten zwei 18-Jährige in der Berliner U-Bahnstation Friedrichstraße einen 29-Jährigen krankenhausreif. Dem am Boden liegenden Mann wurde noch bis zur Bewusstlosigkeit auf den Kopf getreten. Die Polizei hatte zur Fahndung Bilder der Überwachungskamera des U-Bahnhofs veröffentlicht. Die Täter stellten sich und blieben auf freiem Fuß.
Gegen den Haupttäter wurde knapp zwei Wochen nach der Tat Anklage erhoben. Der Fall war deutschlandweit in der Presse und entfachte die Diskussionen über die Einführung eines Warnschussarrestes erneut: „Die Täter sollen schon mal einige Wochen am Freiheitsentzug schnuppern.“ Die Einführung eines solchen Arrestes sieht der Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP vor. Ein entsprechender Gesetzesentwurf hat den Bundestag bislang jedoch noch nicht erreicht.
Aber worum geht es eigentlich bei dem Warnschussarrest genau? Derzeit können bis zu vier Wochen Jugendarrest als Warnung verhängt werden, wenn die Tat für eine Jugendstrafe nicht schwer genug ist. Künftig soll zur Abschreckung ein maximal vierwöchiger Arrest neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe angeordnet werden können.
Aus der Sicht der Bevölkerung mag dies eine vernünftige Veränderung der Gesetzeslage darstellen. Beschäftigt man sich aber intensiver mit diesem Vorhaben, kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines Warnschussarrestes völlig verfehlt ist.
Schaut man sich dessen Anwendungsbereich an, steht fest, dass nur solche Jugendlichen und Heranwachsenden in Betracht kommen, welche eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen oder wegen der Schwere der Schuld zu erwarten haben. Diese Täter haben in der Regel bereits mehrere Strafverfahren und auch Jugendarreste hinter sich, Erziehungsmaßregeln sowie Zuchtmittel haben dann also schon versagt. Dass ein weiterer Jugendarrest diese Täter beeindrucken soll, kann aus der Praxis nicht nachvollzogen werden. Beim Jugendarrest ist die Rückfallquote mit 70% sehr hoch. Jeder Freiheitsentzug ist unter Umständen auch eine „Fortbildung“ in der Anwendung krimineller Energie. Gerade bei Jugendlichen ist die „Ansteckungsgefahr“ untereinander sehr groß. Ein hinreichender Grund, dass sich diese Täter durch einen Warnschussarrest zu einem straffreien Leben bekehren lassen, ist überhaupt nicht zu erkennen. Zudem böte der kurze Aufenthalt in einer Anstalt auch zu wenig Zeit, um pädagogische oder therapeutische Maßnahmen effektiv anzuwenden. Der einzige sinnvolle Anwendungsbereich könnte sich für die ganz wenigen Fälle ergeben, in denen vorangegangene gerichtliche Maßnahmen praktisch fehlen.
Problematisch ist ebenfalls, dass zwischen Tat, Urteil und Vollstreckung der Strafe oft Monate oder Jahre liegen. Dies ist teilweise auf die überlasteten Gerichte, aber auch auf die bereits heute überfüllten Jugendhaftanstalten zurückzuführen. Somit rückt der Effekt der zeitnahen Bestrafung noch weiter in die Ferne und der Warnschussarrest wäre wirkungslos.
Außerdem wird der Warnschussarrest dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts nicht gerecht. Ziel dessen ist es erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenzuwirken (§ 2 Abs. I JGG). Eine präventive Abschreckung, so wie es der Warnschussarrest vorsieht, ist hiermit aber nicht gemeint.
Es gibt nur ein Modell, das es in die öffentliche Diskussion geschafft hat: Jugendrichterin Kirsten Heisig entwickelte, mit einem Kollegen zusammen, aus ihrer Berufserfahrung das sogenannte „Neuköllner Modell“ zur besseren und schnelleren Verfolgung von jugendlichen Straftätern (benannt nach ihrem Amtsbezirk Berlin-Neukölln). Praktiziert wird dieses seit Juni 2010 in Berlin sowie nach einer Probephase in Bamberg seit April 2011 bei den Staatsanwaltschaften Ansbach, Ingolstadt, München II und Würzburg.
Grundgedanke des Modells ist eine geschicktere Nutzung des vereinfachten Jugendverfahrens nach §§ 76ff. JGG. Dabei sollen sich junge Täter bei kleineren Delikten möglichst schnell nach der Tat, um erzieherische Wirkung zu erzielen, vor Gericht verantworten müssen. Es sind Delikte, für deren Ahndung maximal ein Arrest von vier Wochen in Betracht kommt. Die Gerichtsverhandlung soll spätestens drei bis fünf Wochen nach der Tat stattfinden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Außerdem werden Täter-Opfer-Gespräche oder gemeinnützige Arbeit angeordnet. Zwar ist dieses Verfahren nicht geeignet auf Intensivtäter einzuwirken, aber ein Element zur Verhinderung von Intensivtäterkarrieren ist darin durchaus zu sehen.
Anknüpfungspunkte für eine sinnvolle Einwirkung auf Jugendliche bzw. dem Entgegentreten der Jugendkriminalität sind aber vorwiegend im Bereich der Präventionsarbeit und nicht in der Verschärfung des Jugendstrafrechts zu sehen. Das aktuelle Jugendstrafrecht bietet bei konsequenter Anwendung genügend Möglichkeiten, dass Erziehung Strafen haben kann.
Originalartikel aus der AdVoice 3/11 [PDF]